Visitenkartengeschichte
Ein Extertentipp von Tobias Grunow.
„Zeige mir deine Visitenkarte und ich sage dir, wie du heißt.“ Dieses Zitat könnte von Mike Krüger stammen. Der Spruch klingt banal, so trivial wie die unzähligen Karten, die in unserem Geschäftsalltag mal mehr, mal weniger formal durch unsere Hände gehen. Ein genauerer Blick hinter die Visitenkarte offenbart allerdings eine lange Geschichte und den Umstand, dass sie weit mehr über den Besitzer preisgibt, als nur seinen Namen.
Von den Anfängen der Besuchskarte
Bis ins 17. Jahrhundert reicht die Geschichte der Visitenkarte zurück. Einige Annahmen gehen noch weiter zurück ins China des 15. Jahrhunderts oder gar bis ins alte Ägypten. Dort soll es Brauch gewesen sein, zu bestimmten Anlässen Skarabäen aus Ton oder Stein mit eingeritzten Botschaften oder kleinen Papyrusrollen zu verschenken. Bereits unter dem französischen König Ludwig XIII. sollen die Kaufleute von Paris sogenannte Adresskarten (frz. carte d’adresse) genutzt haben. Wirklich belegt werden kann ihre Verwendung allerdings erst an den Adelshöfen im Umfeld des „Sonnenkönig“ Ludwig XIV. Bei Festveranstaltungen dienten sie unter anderem dem Zeremonienmeister zur Ankündigung der Gäste.
Der bei uns gebräuchliche Begriff Visitenkarte leitet sich von seiner damaligen Funktion ab. Beim Besuch (frz. visite) meldete sich ein Gast zunächst beim Diener oder bei der Empfangsdame an der Pforte an und überreichte seine Besuchskarte. Diese nahm sie auf einem Tablett entgegen und reichte sie dem Hausherren oder der Hausdame weiter, welche dann entschieden, ob sie den Gast empfangen wollen oder nicht. Der Gast wartete derweil geduldig in seiner Kutsche auf die Antwort.
Bei einem formellen Erstbesuch hinterließ der Gast lediglich seine Visitenkarte und verließ das Anwesen wieder. Wollte der Hausherr oder die Dame Kontakt mit ihm aufnehmen, ließen sie ihm wiederum ihre Karte überbringen. Erhielt er keine Antwortkarte oder steckte diese in einem versiegelten Umschlag, war das der diskrete Hinweis darauf, dass eine Bekanntschaft mit ihm nicht erwünscht war.
Auf der Karte war der Name und Titel, seltener auch die Adresse aufgedruckt. Sie waren entweder extrem schlicht nur mit wenigen Zeilen Text gestaltet oder opulent ausgeschmückt mit Ornamenten oder Szenen aus der Antike.
Die Besuchskarten wurden in der Regel geknickt. Zum einen, weil sich geknickte Karten besser vom Tablett aufnehmen lassen, zum anderen konnten auf diese Weise Botschaften an den Gastgeber übermittelt werden. Es entwickelte sich ein regelrechter Zeichencode im Umgang mit den Besuchskarten. Mit einer geknickten Ecke konnte der Grund des Besuchs mitgeteilt werden. Eine nach vorne geknickte Ecke rechts oben an der Karte signalisierte, dass ein Besucher die Karte persönlich überreicht hat, als Hausherr oder Hausdame nicht zugegen waren. Ein Besuch um Glückwünsche auszurichten wurde mit einem Knick in der linken, oberen Ecke signalisiert, Beileidsbekundungen in der Ecke links unten. Wollte man sich auf eine lange Reise verabschieden wurde die Ecke rechts unten geknickt.
Auch wem der Besuch gilt, konnte so ausgedrückt werden. Statt nach vorne wurden die Ecken nach hinten geknickt. Ein Knick in der rechten, oberen Ecke bedeutete, dass der Besucher zu einer bestimmten Person im Haus wollte. In der Mitte gefaltet zeigte die Karte, dass die gesamte Familie besucht wurde. Gerade wenn mehrere Frauen im Haushalt wohnten, war diese Information für Herrenbesuch besonders wichtig, um sich bei einer Verwechselung nicht die Blöße zu geben. So galt es zum Beispiel für einen Gentleman als unschicklich, sich mit der Tochter des Hauses zu treffen, wenn die Mutter nicht anwesend war. Darum hinterließ er in diesem Fall seine Karte am Eingang und ging wieder.
Alternativ zum Knick wurden handschriftliche Notizen auf den Besuchskarten vermerkt. Etabliert hatten sich Kürzel französischer Redewendungen, die den Grund des Besuches mitteilten. Zu den gebräuchlichsten Abkürzungen zählten p.c. (pour condoler/condoléances, um zu kondolieren), p.p.p. (pour prendre part, um Teilnahme auszudrücken), p.f. (pour féliciter, um Glückwünsche auszurichten), p.f.N.A. (pour féliciter Nouvel An, um Glückwünsche zum neuen Jahr auszurichten), p.m. (pro memoria, um sich in Erinnerung zu bringen), p.p. (pour présenter, um sich vorzustellen), p.p.c. (pour prendre congé, um Abschied zu nehmen) und p.r. (pour remercier, um für etwas zu danken). Auch eine Kombination aus Knick und Kürzel war möglich. So gab es Karten, bei denen die Abkürzungen bereits auf die Ecken gedruckt waren, die dann bei Bedarf umgeknickt werden konnten.
Die Visitenkarten entwickelten sich mit den Jahren vom Status als bloße „Eintrittskarte“ hinaus. So galt bald bereits das Überreichen der Karte als „symbolischer Besuch“, der dem Rang eines persönlichen Gesprächs nicht nachstand. Glückwünsche wurden zwar im besten Fall persönlich überbracht, es war jedoch akzeptiert, dass man stattdessen eine Visitenkarte in Vertretung überbringen ließ. Heute noch lässt man so Kranken Blumen und Genesungswünsche zusammen mit einer Gruß- oder Visitenkarte überbringen oder drückt auf diese Weise Glückwünsche für das frisch vermählte Brautpaar aus.